Ziele der Anforderungserhebung

Bevor Methoden gewählt werden, sollte klar sein, was die Anforderungserhebung leisten soll:
- Bedarfe und Erwartungen identifizieren
- Funktionen und Leistungsmerkmale festlegen
- Konflikte zwischen Stakeholdern aufdecken
- Eine klare, verständliche Basis für spätere Entwicklung schaffe
Klassische Methoden der Anforderungserhebung
1. Methode: Interviews
Einzelgespräche mit Stakeholdern, Nutzern oder Experten zur strukturierten Informationsgewinnung.
Es gibt:
- Standardisierte Interviews (fester Fragenkatalog)
- Leitfadeninterviews (halbstrukturiert)
- Freie Interviews (offen und explorativ)
Vorteile: Direkter Austausch, individuelle Vertiefung möglich
Nachteile: Zeitaufwändig, evtl. subjektiv geprägt
2. Methode: Fragebögen
Standardisierte Befragung einer größeren Zielgruppe.
Geeignet zur quantitativen Auswertung.
Vorteile: Hohe Reichweite, vergleichbare Daten
Nachteile: Keine Rückfragen, geringere Tiefe

3. Methode: Workshops
Gruppenveranstaltungen, bei denen Stakeholder gemeinsam Anforderungen diskutieren und priorisieren.
Häufig mit Moderation und Visualisierungsmethoden (z. B. Karten, Whiteboards).
Vorteile: Förderung von Konsens, Einbindung vieler Sichtweisen
Nachteile: Vorbereitung und Moderation aufwendig
4. Methode: Beobachtung
Analyse realer Arbeitsabläufe direkt vor Ort.
Besonders hilfreich, wenn Nutzer ihre Bedürfnisse nicht klar artikulieren können.
Formen: Teilnehmende oder nicht-teilnehmende Beobachtung
Vorteile: Reale Einblicke, unabhängig von verbaler Ausdrucksfähigkeit
Nachteile: Interpretation durch Beobachter erforderlich
5. Methode: Dokumentenanalysen

Auswertung vorhandener Unterlagen wie Prozessdokumentationen, Pflichtenhefte oder Verträge.
Vorteile: Objektive Grundlage, gute Ergänzung zu anderen Methoden
Nachteile: Oft veraltet oder unvollständig
Moderne und agile Methoden
1. Methode: Use Cases & User Stories
Szenarien und kurze Erzählungen beschreiben, wie ein Nutzer mit dem System interagiert.
Vorteile: Praxisnah, leicht verständlich, besonders in agilen Projekten
Nachteile: Bedarf Erfahrung bei Formulierung und Priorisierung
2. Methode: Personas

Fiktive, aber realitätsnahe Nutzerprofile, die typische Bedürfnisse und Verhaltensmuster beschreiben.
Vorteile: Nutzerzentrierte Sichtweise, erleichtert Empathie
Nachteile: Gefahr der Stereotypisierung bei unsauberer Entwicklung
3. Methode: Prototyping
Frühe, oft noch unvollständige Modelle oder Mock-ups eines Systems, um Feedback einzuholen.
Vorteile: Visuelle Vorstellung, iterative Verfeinerung
Nachteile: Nicht jede Anforderung ist visuell darstellbar
4. Methode: Brainstorming & Design Thinking
Kreative, oft interdisziplinäre Methoden zur kollaborativen Erarbeitung von Lösungen und Anforderungen.
Vorteile: Förderung von Innovation, breiter Blickwinkel
Nachteile: Kann ohne klare Struktur beliebig oder ineffizient werden
Auswahl der richtigen Methode
Die geeignete Methode hängt u. a. ab von:
- Projektphase: Frühphase = explorative Methoden, später = präzisierende Methoden
- Anzahl & Verfügbarkeit der Stakeholder
- Komplexität des Systems oder Produkts
- Zeit- und Ressourcenbudget
In der Praxis hat sich ein Methodenmix bewährt: z. B. Interviews + Workshops + Prototyping.
Fazit
Die Anforderungserhebung ist eine Schlüsselaufgabe für den Projekterfolg.
Ob klassisch oder agil – entscheidend ist, dass die gewählten Methoden zur Zielsetzung, zum Projektkontext und zu den Stakeholdern passen.
Wer auf einen ausgewogenen Methodenmix setzt und sowohl funktionale als auch emotionale Nutzerbedürfnisse berücksichtigt, schafft eine tragfähige Grundlage für erfolgreiche Lösungen.